CSE = Certificate of Steiner Education

In Österreich führen 10 (von 18) Waldorfschulen im Waldorfbund Österreich eine voll ausgebaute Oberstufe bis zur 12. Schulstufe. Der von uns allen hoch geschätzte Waldorfabschluss berechtigt derzeit nur zur Anerkennung einiger Fachbereiche im Falle einer Externistenmatura sowie zu einer um ein Jahr verkürzten Lehre.

Zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife ist nach der 12. Schulstufe das Ablegen der staatlichen Reifeprüfung (Matura) der übliche Weg. Die weiteren Möglichkeiten einer Studienberechtigungsprüfung oder einer Berufsreifeprüfung nach Absolvieren einer Lehre wurden in der Vergangenheit selten gewählt. Natürlich sind alle Schulen daran interessiert, Wege nach der Waldorfschule zu sondieren und ihre SchülerInnen entsprechend zu informieren. In den 10 Waldorfschulen mit Oberstufe haben sich unterschiedliche Wege nach dem Waldorfabschluss etabliert:

  • IB-Lehrgang (in Kooperation mit Wien-West)
  • Wiederholung der 12. Schulstufe in einem staatl. Gymnasium (WS Graz und WKS Graz)
  • Kooperation mit einem Abendgymnasium für Berufstätige (Wien-Mauer, Wien-Pötzleinsdorf, Schönau, Innsbruck, Salzburg, Linz)
  • CSE (Klagenfurt, Schönau, Salzburg, Graz)

Seit dem ersten Abschlussjahrgang im Schuljahr 1974/75 haben bis 2019 rund 4650 SchülerInnen in Österreich den Waldorfabschluss absolviert. Jedes Jahr kommen rund 150 weitere hinzu. Rund 80 % der WaldorfschülerInnen legen nach ihrer Waldorfschulzeit die Matura ab. Dies zeigt sich u.a. in einer Befragung von ehemaligen WaldorfschülerInnen, die der Waldorfbund in den Jahren 2003 und 2006 durchführte. Seit 2009 werden die Maturadaten der Abschlussklassen aufgrund von Informationen der Schulen erhoben. Hier zeigt sich ein Trend in Richtung 85 % – und dies mit überdurchschnittlich guten Ergebnissen: Mehr als 50 % der Waldorf-MaturantInnen absolvieren die Matura mit Auszeichnung bzw. gutem Erfolg.

Das ist schon sehr beachtlich, wenn man bedenkt, dass wir Waldorfschulen auch in der Oberstufe den Gesamtschulgedanken durchtragen! Und warum sollten wir dann so etwas wie das CSE einführen wollen?

Von der Waldorfschule direkt in die Universität – dies ist in sehr wenigen Ländern (wie z. B. Schweden) eine Selbstverständlichkeit. Überall dort aber, wo es staatliche Richtlinien für eine Reifeprüfung wie Abitur oder Matura, bis hin zu zentralen Prüfungen (Zentralabitur, Zentralmatura) gibt, berechtigt der reine Waldorfabschluss den Hochschulzugang nicht, man muss sich um den Erwerb der staatlichen Reifeprüfung nach der Waldorfschule kümmern. Natürlich gibt es auch in Schweden Noten oder Punkte im Verlaufe der Oberstufe, irgendeine Art des Nachweises absolvierter Kurse bzw. eine Leistungsdokumentation, die bei der Hochschulanmeldung geprüft wird.

Im Jahr 2010 hätten wir im Rahmen der geforderten Neuauflage des Organisationsstatutes und des Lehrplans unserer Schulen eine Hochschulzugangsberechtigung erlangen können. Wir hätten „lediglich“ den AHS-Lehrplan und die Matura übernehmen müssen, unter Beibehaltung von einigen Waldorfmethoden wie z. B. Epochenunterricht … Die dafür nötig gewesenen Konzessionen hätten den entwicklungsorientierten Ansatz des Waldorflehrplans aber zunichte gemacht. Aus diesem guten Grunde blieb es bei der schon vorher geltenden Teilanerkennung einzelner Fachbereiche für die Externistenmatura.

In Neuseeland aber ist den Waldorfschulen gelungen, eine solche staatliche Anerkennung auf Grundlage des internationalen Waldorflehrplans zu erlangen. In den letzten 3 Schulstufen können sich die SchülerInnen für den Hochschulzugang qualifizieren. Auf Grundlage dieses modularen Bewertungssystems UND auf Grundlage des eigenen Lehrplans – eben des Waldorflehrplans – haben einige neuseeländische Waldorfschulen das „Certificate of Steiner Education“ (vormals SSC = Steiner School Certificate) entwickelt und dies ist offiziell in Neuseeland als Hochschulzugangsberechtigung gültig. Durch die Zusammenarbeit der Waldorfschulen auf internationaler Ebene, wie z. B. im European Council for Steiner Waldorf Education, wurde rasch erkannt, dass der allgemeine Hochschulzugang per CSE dann auch aufgrund des Lissabonner Anerkennungsübereinkommens möglich sein müsste. Und dem ist auch so, wie sich bereits in Deutschland, England und Österreich gezeigt hat. Die ersten AbsolventInnen von Waldorfschulen aus diesen Ländern studieren bereits.

Die österreichischen Waldorfschulen haben sich – was den Oberstufenlehrplan betrifft – lange auf einer „Waldorfinsel der Seligen“ gewähnt, da sie den klassischen Waldorflehrplan der Oberstufe realisieren konnten. Bisher konnten zumindest die Schulen ohne direkte Anbindung an Matura-Lehrgänge im Haus den Waldorf-Oberstufenlehrplan ohne Konzessionen an Maturaanforderungen leben. Dazu gehören die konsequente entwicklungsorientierte Gestaltung der Epochen in der Oberstufe, was uns in allen Fachbereichen sehr wichtig ist. Wir wollen die Persönlichkeitsbildung fördern und wohl eher auf ein selbstbestimmtes Leben als auf die Matura vorbereiten. Auch in Österreich hat sich gezeigt, dass Anforderungen der Matura es erschweren, den Waldorf-Oberstufenlehrplan voll zu entfalten. Nehmen wir nur das Beispiel der Projektiven Geometrie (Fachbereich Mathematik) in der 11. Klasse, die heute schon in manchen Schulen der Matura-Vorbereitung in Mathematik geopfert wird! Ein weiteres Beispiel dafür ist die sog. „vorwissenschaftliche Arbeit“, die ein Teil der Zentralmatura ist. Vom Ansatz her ist es eine Abschlussarbeit, die auf den ersten Blick unserer Jahresarbeit ähnelt. Fakt ist aber, dass die Anforderungen dort sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr viel geringer bzw. anders sind. Es wird dadurch zunehmend schwerer, die waldorfspezifischen und hochwertigen Anforderungen in unseren Schulen durchzusetzen.

Da nun der Waldorflehrplan ein internationaler Lehrplan ist, ist die Grundlage der Zertifizierung in den Klassen 10–12 an neuseeländischen Waldorfschulen dieselbe wie bei uns in Europa. Daher kann das CSE an europäischen Schulen NEBEN dem Lehrplan, neben den sonst üblichen Zertifikaten (Noten-Abschlusszeugnis der 12. Klasse) bestehen. Es ist also keine Änderung von Organisationsstatut und Lehrplan nötig – und wer will, kann nach wie vor nach der 12. Klasse auch die Matura absolvieren. An Waldofschulen wird sämtlichen SchülerInnen nach Beendigung der 12. Klasse regelmäßig ein Abschlusszeugnis der Waldorfschule ausgestellt (Notenzeugnis und verbales Zeugnis). Das hat mit dem New Zealand Certificate of Steiner Education (das nicht alle SchülerInnen erhalten) nichts zu tun. Bei diesem handelt es sich um einen neuseeländischen Abschluss nach einem neuseeländischen Programm, nach dem auch außerhalb Neuseelands an Waldorfschulen gearbeitet werden kann und dessen Lernergebnisse die Grundlage für die Erteilung von neuseeländischen Qualifikationen in Neuseeland sind ( ggf. auch mit dem Prädikat "with university entrance", also mit neuseeländischer Hochschulzugangsberechtigung).

Für die österreichischen Schulen, die sich bisher für die Einführung des CSE entschieden haben bzw. in einer Pilotphase erproben (Klagenfurt, Salzburg, Schönau, Graz), waren folgende Gründe ausschlaggebend:

  • Der „klassische“ und aus guten Gründen entwicklungsorientierte Waldorflehrplan der Oberstufe kann ohne Konzessionen realisiert und weiterentwickelt werden.
  • Die waldorfspezifischen Anforderungen an die Jahresarbeit der 12. Klasse inkl. Vortrag, Ausstellung, praktisch-künstlerischem Teil und Arbeitsprozess haben im CSE einen hohen Stellenwert.
  • Leistungen bzw. Lernerfahrungen durch Praktika und künstlerische Projekte (Theater, Musik, Eurythmie) oder Schwerpunkte einzelner Schulen (wie z.B. Auslandspraktika im Rahmen des ERASMUS+-Programms) können ebenso und gleichwertig wie die „klassischen“ Unterrichtsfächer bewertet werden.
  • Der prozessorientierte Ansatz des CSE, in dem der Weg zur Leistung und das individuelle Wesen ihrer Präsentation von Bedeutung sind, passt zu den Prinzipien der Waldorfpädagogik und beugt der auch an Waldorfschulen festzustellenden „Testmanie“ vor.
  • Auch die Einbindung von SchülerInnen in die schulinterne Moderation von Lernergebnissen ist ein spannender Weg, sollten sie doch in der Oberstufe zunehmend zu einer soliden Selbsteinschätzung ihrer Leistungen geführt werden.
  • Das CSE ist äußerst flexibel! Wenn ein Lehrer seine Unterrichtsvorbereitungen aufgrund von aktuellen Ereignissen in der Welt oder in der Klasse verändern muss (hoffentlich tut er das!), dann kann er das jederzeit machen!

Das CSE legt Wert auf eine intensive Zusammenarbeit der OberstufenlehrerInnen im Interesse der SchülerInnen. Durch neue Formen der Zusammenarbeit soll der Lernprozess selbst in den Fokus rücken sowie der Katalog der Einschätzungsverfahren von Schülerleistungen bis hin zur Selbstbeurteilung erweitert werden. Die Kollegien sollen ermuntert werden, die individuellen Lernwege ihrer SchülerInnen gemeinsam zu erforschen. Insbesondere sollen neue Formen der Zusammenarbeit im Lehrerkollegium im Hinblick auf die Bedürfnisse der SchülerInnen entwickelt werden, die ein sich nicht dem Stoff (und dem Test!!) verschreibendes Unterrichten ermöglichen. Darüber hinaus wollen die teilnehmenden Schulen für zukünftigen Schüleraustausch Grundlagen für die gegenseitige Anerkennung von Schülerleistungen im Rahmen des CSE erarbeiten.

Das Certificate of Steiner Education (CSE) verbindet qualitative Ansprüche der Waldorfpädagogik mit einem lernergebnisbasierten Bewertungssystem. Zweck des CSE ist es nicht, alles ständig zu evaluieren. Die Lernergebnisse sind lediglich wie ›Fenster‹ auf die Leistungen der Schüler. Die Schule wählt aus, welche Lernergebnisse sie den Schülern anbietet. Die Lernergebnisse (prozessorientierte ›learning outcomes‹) stammen aus einem vorgegebenen Katalog aus dem internationalen Waldorflehrplan, der durch Mitwirkungsmöglichkeiten jeder teilnehmenden Schule regelmäßig fortgeschrieben werden kann. Die SchülerInnen wählen wiederum aus, in welchen Bereichen sie evaluiert werden möchten, wobei sie verpflichtet sind, aus breit aufgestellten Kernbereichen eine Auswahl zu treffen. Je höher das Level ist, desto mehr Wahlmöglichkeiten gibt es. Dazu gibt es Pflichtbereiche (wie Geisteswissenschaft, Naturwissenschaft, Kunst), die mindestens auf Level 2 erfolgreich absolviert werden müssen. Zusätzlich müssen auch Basiskompetenzen im mathematischen und sprachlichen Bereich nachgewiesen werden. Mit jedem positiv absolvierten Lernergebnis kann eine bestimmte Punkteanzahl erreicht werden. Das CSE schreibt die Form der Bewertung nicht vor. Inwieweit ein Lernergebnis erreicht ist, wird über Feststellungskriterien bestimmt, die sehr offen formuliert sind. Jeder Lehrer/jede Lehrerin konkretisiert diese in einem Anforderungsprofil, dessen Inhalt er/sie den SchülerInnen mitteilt. So wissen die SchülerInnen im Vorhinein, was für ein ›achieved‹ (mit Erfolg), was für ein ›merit‹ und was für ein ›excellence‹ erwartet wird. Die Erfahrung zeigt, dass SchülerInnen der Oberstufe diese Transparenz schätzen, da sie wissen, woran sie sind und entsprechend ihre Lernstrategien priorisieren können. Durch welche Verfahren Leistungen festgestellt werden, legt der Lehrer/die Lehrerin fest. Dabei können auch mehrere Verfahren den SchülerInnen zur Wahl gestellt werden. Traditionell arbeiten Lehrer meist mit Tests. Das ist selbstverständlich auch beim CSE erlaubt und ggf. auch sinnvoll. Je nach Fach könnte es aber sein, dass andere Einschätzungsverfahren sich besser eignen (z. B.: mündliche Beiträge, Aufsätze, Portfolios, verschiedene Textformen, Referate, Gruppenarbeit, Diskussionen/Dialoge, Plakate, Photos, Ausstellung, Aufführung/Performanz, Präsentation, Heft bzw. Ordner, Lerntagebuch, Lehrerbeobachtungen sowie jegliche ›naturally occuring evidence‹). Die LehrerInnen gewährleisten, dass sie die Spuren der Leistungen nachvollziehbar festhalten und evaluieren. Die Leistungsfeststellungen müssen immer ›evidence based‹ sein. Es besteht die Hoffnung, dass durch die Arbeit mit dem CSE Evaluation als Lernförderung gestärkt wird. Um effektiv zu lernen, brauchen SchülerInnen viel engmaschigere Rückmeldungen. Dabei sollten Lernmethoden nicht nur auf den Erwerb von Kompetenzen für bestimmte Abschlüsse zugeschnitten werden, sondern in sich auf Selbstbildung der Schüler abzielen. Lebendiger Unterricht und Bewertungsverfahren schließen einander nicht aus. LehrerInnen sind so aufgerufen, nicht nur auf eine hohe Angebotsqualität zu achten, sondern auch die Wirksamkeit des Unterrichts deutlich dadurch zu steigern, indem die Nutzungsqualität für jeden Schüler gesteigert wird. Dabei muss man sehen, wie das Angebot ankommt, und zwar nicht nur am Ende, sondern auch während des Unterrichtens. Genau das fördert lebendigen Unterricht.

Da der Waldorflehrplan international gültig ist, bietet sich eine transnationale Zusammenarbeit der mit dem CSE arbeitenden Schulen an. Bisher gab es bereits einige Fortbildungsveranstaltungen für die OberstufenlehrerInnen der teilnehmenden Schulen (zuletzt in Erfurt, Salzburg, Schönau). Für Herbst 2020 ist eine weitere Fortbildung in Österreich geplant.

Nun wird immer wieder gefragt, warum denn das CSE was kostet – derzeit jährlich € 12.000 pro Schule plus rund € 70,- pro SchülerIn der teilnehmenden Klassen. Letzterer Beitrag deckt die Kosten für die notarielle Anerkennung des jährlichen Zertifikats, das ja eine Gültigkeit gemäß des Lissabonner Abkommens aufweisen muss. Der Basisbetrag pro Schule enthält den Verwaltungsaufwand der Stiftung SEDT (Steiner Education Development Trust), die für die Vergabe der Zertifikate zuständig ist sowie die Reisekosten der Trainer, die derzeit noch aus Neuseeland kommen. Sobald sich das CSE in Europa konsolidiert hat und weniger Einschulungsaufwand aus Neuseeland erforderlich ist, können die Basiskosten gesenkt werden.

Der Zeitaufwand an der teilnehmenden Schule ist in den ersten drei Jahren der Einführung recht hoch, weil zunächst ein hoher Dokumentationsaufwand gegenüber SEDT zu leisten ist, da das Zertifikat ja nicht ins Blaue hinein erteilt werden kann. Und natürlich braucht auch die Beschäftigung der LehrerInnen damit zunächst Zeit. Danach ist der Aufwand überschaubar und z. B. für den Koordinator an der Schule mit ca. einer Deputatsstunde leistbar.

Der immaterielle Gewinn für die Schule kann (über diese neue Anerkennung des Waldorfabschlusses hinaus) in einer vertieften Zusammenarbeit der OberstufenlehrerInnen liegen. Gerade die Gespräche zwischen zwei oder mehr LehrerInnen nach Abschluss einer Lerneinheit (teilweise auch mit der Klasse) können sehr anregend sein, da man so viel darüber erfährt, wie eine KollegIn ihren Unterricht gestaltet, wie sie die SchülerInnen sieht und die Zusammenarbeit mit ihnen erlebt hat, die man auch selbst unterrichtet. Es weitet den Blick auf die SchülerInnen für den eigenen Unterricht und auf das Kollegium.

In den bisher teilnehmenden vier Schulen hat sich auch eine solide Kompetenz im Umgang mit dem CSE entwickelt, so dass nun auch von hier aus Schulen in Österreich bei der Einführung beraten werden können.

Was noch fehlt, ist eine fundierte und emotionslose Information zum CSE in Europa (auch im Internet!). Da bisher nur 10 Schulen in Österreich, England und Deutschland damit arbeiten, ist diese Aufgabe noch offen.

Verfasserin: Angelika Lütkenhorst

Oberstufe Waldorfschule